Insolvenzanfechtung – ein unerkanntes Risiko

7. November 2017

Bei dem Thema Insolvenzanfechtung denken wir am ehesten an die großen Unternehmen und Namen. Das erste große Beispiel war die Insolvenz von TelDaFax und die Sponsorengelder, die der Fußballverein Bayer Leverkusen über Jahre erhalten hatte. Die Rückzahlung von rund 16 Mio. Euro durch den Fußballverein an den Insolvenzverwalter von TelDaFax war schon ein Paukenschlag, wurde aber eher von den Fußball-Klubs und Fans verfolgt.

Auch das unrühmliche Ende des Unternehmers Thomas Middelhoff und das laufende Insolvenzverfahren wurden in den Nachrichten diskutiert. Die Rückabwicklung seiner geschlossenen Verträge zur „Umschichtung seines privaten Vermögens“ haben viele Unternehmer und Bürger eher mit Genugtuung verfolgt.

Die Hintergründe und die Gesetzgebung der Insolvenzanfechtung sind allerdings so komplex, dass viele Unternehmen, die im B2B-Geschäft tätig sind, bisher das Risiko für sich und ihr eigenes Unternehmen noch nicht erkannt haben.

Kleinunternehmer und Mittelständler, aber auch Selbstständige können durch die Insolvenz eines ihrer Kunden im Rahmen einer Insolvenzanfechtung in den Fokus des Insolvenzverwalters geraten. Das kann zu unangenehmen Folgen und Konsequenzen führen, wenn wir das Risiko nicht kennen. Ein wachsames und maßvolles Auge kann hilfreich sein und schützen – allerdings gibt es keine Garantie und bisher auch nur einzelne Lösungen von drei Versicherern.

 

Die Gesetzgebung

Der Gesetzgeber wollte durch den Paragraph 129 der Insolvenzordnung (InsO) eine Gleichheit zwischen allen Gläubigern eines Insolvenzschuldners herstellen. Oftmals werden einzelne Unternehmen eher, schneller, besser bei der Bezahlung von offenen Rechnungen bedacht als andere. Nachdem dann das Insolvenzverfahren eröffnet wird, stehen viele Unternehmen im Regen und bekommen wenig bis nichts, während die offenen Rechnungen von ein oder zwei Unternehmen vorher vollständig ausgeglichen wurden. Um eine faire Ausgangssituation unter allen Gläubigern herstellen zu können, wurde das Instrument der Insolvenzanfechtung eingeführt. – Unseriöse Geschäftspraktiken und Absprachen klammern wir mal an dieser Stelle aus, auch wenn diese durchaus vorkommen und auch hier die Insolvenzanfechtung selbstverständlich zum Tragen kommt.

Was bedeutet das konkret für betroffenen Unternehmen?
Stellt der Insolvenzverwalter bei der Sichtung der Unterlagen fest, dass einzelne Unternehmen bevorzugt beim Ausgleich von offenen Rechnungen behandelt wurden oder unseriöse Absprachen und Verträge zur Verschleierung von Zahlungswegen stattgefunden haben, kann er die Insolvenzanfechtung erklären. Damit werden alle Geschäftsbeziehungen und offenen Rechnungen der vergangenen 4 Jahre geprüft und ggfls. rückabgewickelt, soweit es sich um Insolvenzverfahren handelt, die nach dem 05. April 2017 eröffnet wurden. Bei Insolvenzverfahren die vor diesem Stichtag eröffnet wurden, gilt die alte Regelung, die vor dem 05.04.2017 galt. Hier wurden die letzten 10 Jahre betrachtet und ggfs. rückabgewickelt.

In der Praxis bedeutet dies, dass die betroffenen Unternehmen alle erhaltenen Zahlungen des insolventen Unternehmens der vergangenen 4 Jahre an den Insolvenzverwalter zurück erstatten müssen. Der Insolvenzverwalter verteilt dann die zurückerhaltenen Zahlungen gleichmäßig auf alle Gläubiger und schafft so eine Gleichheit zwischen allen betroffenen Unternehmen.

Mit der neuen Gesetzesänderung, die seit dem 05.04.2017 in Kraft ist, wurde eine weitere Änderung beschlossen. Bei getroffenen Ratenzahlungsvereinbarungen und Stundungen wird nicht mehr grundsätzlich davon ausgegangen, dass der Gläubiger von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ausgehen musste. Hier ist also ein Fenster offen, in dem der Gläubiger z.B. nachweisen kann, dass er sich regelmäßig über die Bonität seiner Kunden informiert stets im in Einzelfall entscheidet, ob er Zahlungserleichterungen einräumt.

 

Ein Blick in die Praxis

Die Rückabwicklung aller Zahlungen aus der Geschäftsbeziehung für die vergangenen 4 Jahre kann für ein kleines oder mittelständisches Unternehmen, das nur einmal mit dem insolventen Unternehmen zusammen gearbeitet hat, schon ein Problem darstellen. Das hängt von der Höhe der jeweiligen Rechnungsbeträge ab, die nun zurück erstattet werden müssen. Die Tatsache, dass eine langjährige Geschäftsbeziehung, z.B. mit einem 4-stelligen monatlichen Auftragsvolumen, für 4 Jahre rückabgewickelt wird und alle Beträge an den Insolvenzverwalter zurück erstattet werden müssen, kann Unternehmen aus unserer Metropolregion Hamburg ebenfalls in die Insolvenz führen. Und dass, obwohl die Unternehmen vorher gut bis sehr gut gewirtschaftet haben und perfekt aufgestellt waren.
Schwarzmalerei? Weit gefehlt. Es gibt viele Beispiele aus der Praxis, wo die Insolvenzanfechtung zur Anwendung kam und selbst mittelständige Unternehmen von dem Insolvenzverwalter in die Knie gezwungen wurden. Ob die Gesetzesänderung hier tatsächlich Unternehmen vor der eigenen Insolvenz schützt, wenn ein Geschäftspartner insolvent ist und der Insolvenzverwalter die Insolvenzanfechtung erklärt, wird erst die Zukunft zeigen.
Nun stellt sich die Frage, wie kann das sein und hat der Gesetzgeber das so gewollt. Warum die Insolvenzanfechtung bei Insolvenzverwaltern immer beliebter wird, ist vielleicht mit folgendem Satz zu erklären: Der Insolvenzverwalter verdient sein Honorar aufgrund der realisierten Insolvenzmasse, die er an die Gläubiger verteilen kann. Ein Schelm ist, wer da böses denkt: er könnte also ein Interesse daran haben, den Paragraphen 129 Insolvenzordnung so oft wie möglich anzuwenden, auch wenn es gar keine einseitige Übervorteilung einzelner Gläubiger gab. Diese Regelung wurde vom Gesetzgeber nicht geändert.

 

Tipps aus der Praxis zum Schutz

Schauen Sie sich Ihre Neukunden genau an und prüfen Sie deren Solvenz durch eine Bonitätsauskunft. Entscheiden Sie dann, ob Sie auf Rechnung oder gegen Bargeld liefern bzw. leisten. Bei bestehenden Geschäftsbeziehungen sollten Sie wachsam sein, wenn sich das Zahlungsverhalten Ihres Kunden negativ verändert. Hat der früher immer sofort mit Skonto bezahlt und reizt jetzt das gesetzte Zahlungsziel voll aus? Müssen Sie neuerdings mahnen oder fragt Ihr Kunde nach Ratenzahlungen? Dies sind mögliche Hinweise auf eine drohende Insolvenz und liefern dem Insolvenzverwalter die Argumente, dass Sie von Zahlungsproblemen Ihres Kunden gewusst haben könnten. Hier kann eine spätere Insolvenzanfechtung ansetzen. Eine jährliche Überprüfung der Solvenz Ihrer Kunden kann Sie rechtzeitig auf Veränderungen aufmerksam machen und Sie und Ihr Unternehmen vor Schaden durch ein Insolvenzanfechtungsverfahren schützen.